1. Begriff und typische Ausgangssituation
Immer wieder kommt es vor, dass ein Testament nach dem Tod des Erblassers nicht mehr aufzufinden ist. Besorgniserregend wird es, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Dokument absichtlich zerstört oder beiseite geschafft wurde. Ein solches verschwundenes Testament wird häufig als „schwarzes Testament“ bezeichnet. Für die Beteiligten ist die Lage heikel, denn der Verbleib des Originals hat unmittelbare Auswirkungen darauf, welche Erbfolge gilt.
Besonders bei privat verfassten, handschriftlichen Testamenten entstehen leicht Unsicherheiten. Das Fehlen der Urkunde beweist nicht automatisch, dass der Erblasser seinen letzten Willen widerrufen wollte. Ebenso denkbar ist, dass das Testament verloren gegangen oder durch eine dritte Person unbefugt vernichtet wurde.
2. Der rechtliche Rahmen: Widerruf durch Vernichtung
Das Bürgerliche Gesetzbuch erkennt verschiedene Möglichkeiten an, ein Testament zu widerrufen. Neben der Erstellung eines neuen letzten Willens kann dies auch durch die Zerstörung oder Veränderung der ursprünglichen Urkunde geschehen. Wirksam ist ein solcher Widerruf jedoch nur, wenn der Erblasser selbst gehandelt hat und der Wille zur Aufhebung seines Testaments eindeutig erkennbar war.
Wird ein Testament hingegen von anderen Personen beseitigt, bleibt der darin enthaltene Wille grundsätzlich bestehen, solange der Inhalt des Dokuments noch nachgewiesen werden kann. Für die begünstigte Person bedeutet dies, dass sie beweisen muss, was im Testament stand und dass es überhaupt existierte. Dies gelingt häufig durch Kopien, Zeugen oder andere Unterlagen.
Gerichte neigen dazu, anzunehmen, dass ein nicht mehr auffindbares Testament vom Erblasser selbst vernichtet wurde, sofern er es zu Lebzeiten aufbewahrte und nach seinem Tod nicht mehr aufzufinden ist. Diese Vermutung kann jedoch entkräftet werden, wenn konkrete Umstände nahelegen, dass eine unbefugte Person Zugriff hatte.
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3. Ein Praxisfall aus dem Erbrecht
Ein Beispiel zeigt, wie konfliktträchtig solche Fälle sind:
Ein Erblasser setzte seine Lebensgefährtin per handschriftlichem Testament zur Alleinerbin ein. Das Dokument verwahrte er in seinem Wohnzimmerschrank. Einige Jahre später lebte sein Neffe vorübergehend bei ihm und half im Alltag. Als der Erblasser verstarb, war das Testament jedoch verschwunden.
Der Neffe behauptete, sein Onkel habe die Urkunde in der Zwischenzeit selbst vernichtet. Die Lebensgefährtin hingegen vermutete, dass der Neffe das Testament heimlich entfernt habe, um selbst nach gesetzlicher Erbfolge zu profitieren. Sie konnte eine Kopie des Testaments vorlegen und zwei Personen benennen, die über den Inhalt des Testaments informiert waren.
Das Nachlassgericht stellte nach Prüfung fest, dass der angebliche Widerruf durch den Erblasser nicht nachweisbar war. Die Zeugenaussagen und die vorhandene Kopie reichten aus, um den letzten Willen zuverlässig festzustellen. Das Gericht erkannte daher den Inhalt des verschwundenen Testaments an und stellte die Lebensgefährtin als Erbin fest.
Der Fall macht deutlich, wie schnell sich Erbstreitigkeiten entwickeln können und welchen Stellenwert der Nachweis des Testamentsinhalts hat, wenn das Original plötzlich fehlt.
4. Bedeutung für Erblasser und Erben
Für Erben ist es entscheidend, rasch alle verfügbaren Beweise zu sichern, wenn ein Testament nicht mehr auffindbar ist. Dazu zählen Kopien, E-Mails, frühere Entwürfe oder Personen, denen der Erblasser seinen letzten Willen mitgeteilt hat. Je besser die Beweislage, desto größer die Chance, dass der wirkliche Wille des Erblassers durchgesetzt werden kann.
Erblasser wiederum sollten bedenken, dass eine private Aufbewahrung eines Testaments immer ein gewisses Risiko birgt. Die sicherste Lösung besteht darin, das Testament beim Notar oder Nachlassgericht in amtliche Verwahrung zu geben. So ist gewährleistet, dass Manipulationen ausgeschlossen sind und Streit über den Verbleib der Urkunde gar nicht erst entsteht.
5. Zusammenfassung
Ein verschwundenes Testament führt häufig zu komplexen rechtlichen und familiären Auseinandersetzungen. Ein wirksamer Widerruf liegt nur dann vor, wenn der Erblasser selbst die Urkunde vernichtet und dies mit dem Willen getan hat, seinen früheren letzten Willen aufzuheben. Fehlt dieser Nachweis, kann auch ein „schwarzes Testament“ weiterhin gültig sein, sofern dessen Inhalt bewiesen werden kann.
Sowohl für Erblasser als auch für ihre Angehörigen ist daher eine klare, nachvollziehbare Nachlassgestaltung von großer Bedeutung. Eine sichere Verwahrung und eine transparente Kommunikation können helfen, spätere Konflikte zu vermeiden und den Willen des Erblassers zuverlässig umzusetzen.
